Realisierter Semperplan - Theaterplatz 1849

4.3 Das städtebauliche Wirken Gottfried Sempers -

Forumplan, Theaterplatz, Villenstil


Bevor Gottfried Semper 1834 als Vorstand der Bauschule und Professor für Architektur an die Königliche Kunstakademie nach Dresden berufen wurde, hatten in der Stadt spätklassizistische Architekten wie G.F.Thormeyer, Joseph Thürmer oder Christian Friedrich Schuricht gewirkt. Von einigen wenigen Bauten abgesehen blieb diese Zeit jedoch für Dresdens Architekturgeschichte relativ unbedeutend, da die Stadt, nach der Niederlage in den Befreiungskriegen und dem Gebietsverlust duch den Wiener Kongress zu mittellos war, um begabten Baumeistern große, herausfordernde Aufgaben zu übertragen. Diese Zeit architektonischer Stagnation beendete erst Gottfried Semper, der sich mit seinem Neoenaissancestil radikal von dem vorherrschenden Streit zwischen einem gotischen oder antiken Baustil abwandte.(81) Er fand nach dem Umgang Sachsens zum bürgerlichen Verfassungsstaat politische Konstellationen vor, die Projekte ermöglichten, welche vornehmlich der Selbstdarstellung des aufstrebenden Bildungsbürgertums entsprangen. Zu diesen zählten in erster Linie kulturelle Bauten bürgerlichen Emanzipationsstrebens wie Theater und Museum.

Der Theaterplatz
Die Aufgabe, Kulturbauten zu errichten, löste Semper in hervorragender architekonischer Qualität und verband sie zugleich mit der Klärung der städtebaulich unbefriedigenden Situation zwischen Zwinger, Hofkirche, Schloß und abgetragener Festung. Es galt, dem wüsten Platz vor der unvollendet gebliebenen Zwingerseite eine Fassung zu geben und dabei die ungeordneten, losen Bauhütten des sogenannten "Italienischen Dörfchens" an dieser exponierten Stelle zu beseitigen. Semper nahm 1837 den alten Plan Pöppelmanns, den Zwinger bis zur Elbe zu führen, wieder auf und legte den ersten Forumplan vor, der in den folgenden Jahren erweitert wurde. Dieser Plan beseitigte das Häusergewirr des "Italienischen Dörfchens" und öffnete die nur mit einer einfachen Mauer versehene Nordseite des Zwingers zur Elbe hin. Der Entwurf sah vor, den Französischen Pavillon durch eine Orangerie und das Opernhaus weiterzuführen, während sich gegenüber als Pendant dem Deutschen Pavillon eine Bildergalerie anschließen sollte. Durch das Versetzen der Schinkelwache an die Elbe als Schlußpunkt in der Achse des Kronentores wäre das Forum, eine republikanische Rezeption antiker Plätze, abgeschlossen. Bis auf das Opernhaus(82) (1838-41) blieb der Forumplan, nach Löffler "die genialste städtebauliche Konzeption, die Dresden im 19. Jahrhundert beschieden war"(83) , aus Kostengründen unverwirklicht. Stattdessen setzte Semper auf Vorschlag der beiden Kammern des sächsischen Landtages 1847-54 das Museum mit kraftvoller und doch feingliedriger Geste in die fehlende Zwingerseite. Damit schloß er den neuentstandenen Theaterplatz mit zwei noblen Repräsentativbauten doch noch zufriedenstellend ab. So war einer der spannungsreichsten und ausgewogensten Plätze Europas entstanden, dessen neue bürgerlich-höfische Monumentalbauten sich ernst und doch mit südlicher Heiterkeit in die berühmte Barocksilhouette einpaßten. Nur wenige neue Platzanlagen des 19. Jahrhunderts dürften je wieder eine so gelungene städtebaulichräumliche Gesamtkonzeption erreicht haben, wie der Theaterplatz.(84)

Villenstil
Für seine Villen- und Palaisbauten verwandte Semper den italienischen Neorenaissancestil, der die klassizistische Formensprache ablöste.
Zum Prototyp der Villenarchitektur in Dresden und Deutschland wurde Sempers Villa Rosa auf Neustädter Seite nahe der Elbe, 1838/39 für den Bankier Martin Wilhelm Oppenheim errichtet. Diese zweistöckige ländliche Villa in quadratischer Grundform, nach dem Vorbild der Villa Rotonda von Palladio, hat wie keine andere in Dresden die Ausbildung der Bauaufgabe des Villentypus geprägt.(86)
Einen zweiten wichtigen, richtungsweisenden Bau stellt Sempers Stadtpalais Oppenheim an der Bürgerwiese im Stil eines italienischen Palazzo der Hochrenaissance dar (1845-48). Die stilistische Nachempfindung der italienischen Hochrenaissance sollte für die Fassadenausbildung an Dresdner Wohnbauten der folgenden Jahrzehnte vorbildhaft werden.

Neben Gottfried Semper ist der Architekt Hermann Nicolai zu nennen, der nach Sempers Flucht in der 1849er-Revolution zu seinem Nachfolger in der Bauschule wurde. Seine 1839 errichtete Villa Seebach an der Bürgerwiese in Neorenaissanceformen mit venezianischem Einschlag gehört neben der Villa Rosa zu den hervorragendsten Beispielen des Dresdner Villenstils. Ebenfalls von zahlreichen Architekten nachgeahmt wurde Nicolais Villa für den Mineralwasserfabrikanten Struve (1851/52) an der Prager Straße mit Einflüssen italienischer Renaissancevillen, Dresdner Barockbauten und französischer Landhausarchitektur.

Sempers bzw. Nicolais Villenstil spielte eine große stadtbildprägende Rolle, in dem er wesentlich dazu beitrug, Dresden zu einer Art Villenstadt des 19. Jahrhunderts herauszubilden. Der architektonische Charakter der Stadterweiterungen resultierte in vielerlei Hinsicht aus dem Schaffen Sempers.

(81)Zum gesamten Bauschaffen Sempers in Dresden siehe: Ausstellungskatalog "Gottfried Semper zum 100. Todestag".
(82 Nach einem Brand des Hoftheaters 1869 baute Semper das zweite Opernhaus (1871-78) leicht aus der Achse nach außen versetzt.
(83) F. Löffler, Das Alte Dresden, S. 375.
(84) Zu den städtebaulichen Leitgedanken Sempers siehe: Kurt Milde, Städtebau, in: "Gottfried Semper zum 100. Todestag", S. 145-149.
(85) Vgl. V. Helas, Villenarchitektur, S. 54.
(86) Vgl. Wolfgang Brönner, Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830-1890, Worms 1994, S. 198.