Dresden Alt- und Neustadt 1833
|
3.2 Bebauung und Anlegung von Gärten auf dem freigewordenen Festungsgelände
3.2.1 Fortsetzung des Festungsabrisses 1817 (Thormeyer-Plan)
Nach dem Friedensschluß von Paris kehrte König Friedrich August I. am 7. Juni 1815
wieder in die Residenz zurück. Sachsen war Napoleon bis zur letzten Niederlage ein
fester Bündnispartner geblieben, was zur Folge hatte,
daß das Königreich durch die Ergebnisse des Wiener Kongreß 1814/15 mehr als die
Hälfte seines Territoriums verlor. Damit war Sachsen als Mittelmacht endgültig von
der politischen Bühne Europas verschwunden.(26)
Infolge der Lasten der Kriegsjahre waren Land und Stadt jetzt zur größten
Sparsamkeit gezwungen. Diesen Einsparungszwängen unterlagen alle Projekte
der Stadtumgestaltung, allen voran der großzügig geplante Ringboulevard.
Der Geldmangel führte schließlich zu dem Entschluß, die meisten der durch
die Entfestigung gewonnenen Flächen zu verkaufen.(27)
Ein großes Hindernis für einen einheitlichen Ausbau des ehemaligen Festungsgeländes
bestand zudem in der Tatsache, daß bereits Friedrich August III. seit 1748 große
Teile des zugänglichen Festungswalles und der unterirdischen Kasematten an Privatleute
zur Bebauung, Anlegung von Gärten und anderweitiger Nutzung verschenkt hatte. Die
Entschädigungssummen für diese nun in Privatbesitz befindlichen Flächen der Altstadt
wären für die verarmte Stadt untragbar gewesen. Der Kommune fehlte es auch an Kraft
und Möglichkeiten, mittels Verordnungen die Voraussetzungen für eine Enteignung
zu einem tragbaren Grundstückspreis zu schaffen. Zusätzlich hätte ein Verzicht auf
die Summen, die durch Verkauf des Neustädter Festungsgeländes, welches im Zuge der
Entfestigung vom Staatsbesitz in städtische Verwaltung überging, die Stadtkasse
unnötig belastet.
Das Verdienst, doch noch einen halbwegs akzeptablen Kompromiß zwischen Sparzwängen
und der stadtplanerischen Leitidee eines Grünringes gefunden zu haben, gebührt dem
Hofbaumeister Gottlob Friedrich Thormeyer. Der klassizistische Architekt und Städtebauer
wurde nach dem Tode Hauptmanns 1817 Leiter der neu gebildeten Demolierungs-Kommission
und überwachte nunmehr die gesamte technische Durchführung der Arbeiten. Seine Pläne
knüpften in einigen Punkten an die Entwürfe Hauptmanns und den Arbeiten des 18. Jahrhundert
an.
Das Neue, den veränderten Bedingungen weitaus besser Angepaßte an Thormeyers Plan war,
daß er sich nicht nur auf die Gestaltung der niedergerissenen Festungswerke beschränkte.
Er betrachtete seinen städtbaulichen Entwurf als Projekt für den gesamten Stadtraum, die
sich bis zu den Zollschranken am Rand der Vorstädte erstreckt (Abbildung Nr.2, Dresden 1833).
(28)
Der Ring
Thormeyer versuchte in seinem Plan, am Grundkonzept eines Grünringes um die alte,
dicht bebaute Festungsstadt weitestgehend festzuhalten. In Form der für die Öffentlichkeit
zugänglich gemachten Brühlschen Terrasse einschließlich der Bastion Venus, der Parkanlagen
um den Zwinger und des botanischen Gartens nebst Gondelhafen an der Moritzallee konnten
diese Gedanken auch durchgesetzt werden.
Die von der Regierung geforderte Ringstraße fiel relativ schmal aus, da die privaten
Grundstücke des ehemaligen Festungsgeländes respektiert werden sollten. Außerdem existierte
bereits eine Vorstadtbebauung direkt an der Contrescarpe (äußere Grabenböschung, Wall).
Die Durchsetzung eines breiten, großstädtischen Ringes wäre somit durch den notwendigen
Ankauf und Abriß der Häuser noch kostspieliger geworden.
Zur Erhaltung der Leitidee eines Grünringes einigten sich die Demolierungs-Kommission und
private Grundbesitzer auf die Lösung, daß die Wallgrundstücke nur frei stehende Pavillons
tragen und als Gärten ausgestaltet werden sollten. So formulierte man: "Diese Räume müssen
Gärten bleiben und dürfen mit Wohnhäusern oder Wirtschaftsgebäuden nicht bebaut werden".
(29)
Durch spätere Überbauung der Gartengrundstücke des Ringes Ende des 19. Jahrhunderts
wurde die gewünschte Auflockerung zwischen der dicht bebauten Altstadt und den ebenfalls
dichten Vorstädten allerdings zunichte gemacht.
Die Ringstraße unterbrachen zwei neue Plätze, die an zentralen Punkten der ehemaligen
Stadttore angelegt wurden.
Der Pirnaische Platz im Osten der Stadt, entworfen 1816, endete in der Verlängerung der
Inneren Pirnaischen Gasse und bildete einen gleichmäßigen rechteckigen Platz, den Thormeyer
zur Stadt hin mit zwei Torhäusern abschloß.
An der Westseite der Altstadt entstand 1822/24 der vornehmlich zur Stärkung des
Wirtschaftslebens mit Kaufhäusern errichtete Antonplatz. Er ist die einzige größere
städtebauliche Neuanlage des frühen Dresdner Biedermeier in der Altstadt.
(30)
Der dritte, bereits vorhandene Platz vor dem Wilsdruffer Tor (Postplatz), fand infolge
der komplizierten Situation von sieben auf ihn zulaufenden Straßen keine weitere
künstlerische Gestaltung.
Zu den herausragenden städtebaulichen Leistungen des frühen 19. Jahrhunderts
zählt die Öffnung des Brühlschen Gartens, der sogenannten Brühlschen Terrasse,
durch den Bau einer großen Freitreppe, die ebenfalls Thormeyer nach einem Auftrag
des russischen Gouverneurs Repnin 1814 entwarf. Man hatte sich entschlossen, dieses
Stück Stadtmauer, auf dem der Minister Brühl seinen weitläufigen Garten hatte bauen
lassen, wegen der Schönheit des Ausblicks und der Hochwassergefahr durch die darunter
fließende Elbe, stehenzulassen. Die Erschließung des "Balkon Europas", wie die Terrasse
bald von Reisenden genannt wird, hat in den folgenden Jahrzehnten wesentlich zur
Entdeckung der reizvollen landschaftlichen Situation Dresdens beigetragen.
(31)
Die Neustadt
Die Umgestaltung des Festungsgeländes auf Neustädter Seite war nicht so problematisch
wie diejenige auf Altstädter Seite, da das Terrain immer in staatlichem Besitz geblieben
war und im Zuge der Entfestigung in den Besitz der Stadt überging. Man stand vor der
Aufgabe, die vorhandene barocke Stadt des Klengelschen Planes von 1685 mit der
Vorstadt des sogenannten Neuen Anbaus nordöstlich des Schwarzen Tores zu verbinden.
Der Neue Anbau (ehemals "Auf dem Sande"), 1744 durch Anregung des Gouverneurs Graf
Rutowski von der Zivil- und Militärbaukommission in eine feste städtebauliche Form
gebracht, hatte sich Anfang des 19. Jahrhundert zu einer regen Garten- und Gewerbevorstadt
entwickelt.
Thormeyer nahm zur Lösung der Aufgabe den Gedanken eines großen Rundplatzes mit
freistehenden Pavillon-bauten von Hauptmann wieder auf und entwickelte ihn in Form
eines Sternplatzes weiter, von dem neun Straßen strahlenförmig abzweigen (Abbildung
Nr.3, Dresden- Neustadt 1833). Alle Straßen sollten mit Bäumen (Pappeln und Linden)
bepflanzt werden.(32) Dieser Kreisplatz mit seiner großzügigen, fast imperialen
städtebaulichen Geste ist in dieser das Stadtbild prägenden Neuanlage im 19. Jahrhundert,
sieht man einmal von Sempers Theaterplatz ab, in Dresden ein herausragender Einzelfall.
(26) Vgl. Rudolf Kötzschke/ Helmut Kretzschmar,
Sächsische Geschichte, Leipzig 1935, ND Augsburg
1995, S. 280.
(27)
Vgl. F. Rötschke, Die Festung Dresden, S. 35.
(28)
Eine umfangreiche Auflistung des Gesamtwerkes von
Thormeyer liefert: Gero Schilde, Gottlob Friedrich
Thormeyer, ein spätklassizistischer Architekt,
Diss. TH Dresden, Dresden 1922. Thormeyer war auch
als Architekturzeichner berühmt. Seine
geschlossene Folge kolorierter Umrißstiche
"Dresden mit seinen Prachtgebäuden und schönsten
Umgebungen" (1807 bis 1808) geben einen guten
Eindruck über das Aussehen der Stadt vor den
Abbrucharbeiten.
(29)
Vererbungsbedingungen für die den Hausbesitzern an
der Conrescarpe im ehemaligen Stadtgraben zu
überlassende Räume, 8.10.1823, in: Sammlung der
Ortsgesetze, Regulative und Bekanntmachungen sowie
der wichtigsten Verträge aus der Verwaltung der
Stadt Dresden, Teil 2, Dresden 1894, S. 138, im
folgenden: Sammlung.
(30)
Auf den Antonplatz versuchte man, die meisten der
über das ganze Stadtgebiet lose verstreuten
Verkaufsbuden zu verlegen. Die Trödel-,
Viktualien-, Fisch- und anderen mobilen Bretter-
buden waren der auf Ordnung bedachten Stadt-
verwaltung ein Ärgernis. Vgl. dazu: H. Haug, Die
Demolation der Dresdner Festungswerke, S. 119.
(31)
Vgl. Manfred Zumpe: Die Brühlsche Terasse, Berlin
1991, S. 154ff.
(32)
Das Anpflanzen von Straßenbäumen in der Innenstadt
ist eine wichtige Neuerung im europäischen Städte-
bau Anfang des 19. Jahrhunderts. Zwar gab es im
Barock bereits Bepflanzungen breiter Promenaden,
so z.B. in Dresden auf der Hauptstraße, aber der
klassizistische und romantische Städtebau
integrierten ganz bewußt Natur in das gesamte
Stadtgefüge und ließen sie zu einer Einheit
verschmelzen. Siehe dazu: A. Haufe, S. 85- 97.
| |