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4.2.2 Städtische Baupolizei 1831
Die Bauverwaltung und ihr Einfluß auf die Stadtgestaltung
Seit 1677 war die Baupolizei der sächsischen Militärbehörde unterstellt. Im Zuge der
bürgerlichen Reformen erfolgte 1831 die Übergabe der Bauordnungs-verwaltung an den Rat(66) ,
so daß die Dresdner Bürgerschaft mit einer städtischen Baupolizeibehörde einen größeren
Anteil an der weiteren Entwicklung der Stadt nehmen konnte.
Die Baupolizei entwarf sowohl die Pläne für die Erweiterungen der einzelnen Stadtgebiete,
als auch in besonderen Regulativen die Bestimmungen über deren Bebauung. Desweiteren
arbeitete sie gemeinsam mit dem Rat ständig an der Vervollkommnung und Verbesserung der
Dresdner Bauordnung und überwachte deren Einhaltung.
Im elften Teil der Bauordnung - "Von den Wirkungen der Bauvergehen" - war in den 127
und 128 eindeutig festgelegt, daß bei jeder Überschreitung der Baubestimmungen der
vorschriftswidrige Bau wieder abzutragen bzw. in den vorigen Stand zu bringen sei und daß je
nach Größe des Vergehens "der gedachte Ungehorsam" mit einer Gefängnisstrafe bis zu 14 Tagen
und einer Geldbuße bis zu 20 Talern geahndet werde.
Am Anfang ihrer Konstituierung, besonders in den ungeregelten Jahren der Frühindustrialisierung
der 40- und 50er Jahre, erwuchsen zunächst aus Unerfahrenheit, mangelnder Organisation und
aus Desinteresse für die Belange einkommensschwächerer Schichten z.T. grobe Verstöße gegen
die Bauordnung von 1827. In den folgenden Jahren stabilisierte sich jedoch die Wirksamkeit
der Baupolizei, nicht zuletzt wegen des Erstarkens der sozialdemokratischen Bewegung
(Arbeitervereine, Gewerkschaften etc.) und der damit verbundenen stärkeren Kontrolle aus der
Öffentlichkeit.
Trotz oder wegen der festumrissenen und rigorosen Baubestimmungen versuchten bauwillige
Eigentümer die Begrenzung ihrer Befugnisse zu durchbrechen oder eine höhere Auslastung ihres
Grundstücks bzw. Gebäudes durchzusetzen.
Ein Beispiel dafür ist das Ringen um den Einbau von Dachwohnungen bzw. stehender Dachfenster.
Aus Brandschutz- und Gestaltungsgründen wurden diese von der Baupolizei ungern gesehen und
meist verboten, jedoch in Ausnahmefällen wiederum gestattet.(67)
Die Baupolizei wurde mit verschiedensten Bauforderungen und individuellen Wünschen
frisch gewonnener bürgerlicher Freiheiten konfrontiert. Die Bauunternehmer, seit 1866
unterstützt vom Allgemeinen Hausbesitzerverein, verlangten mehr Spielraum im Baubereich
und die Aufhebung einiger ihrer Ansicht nach diskriminierender Bestimmungen.
Die Baubehörde stand so im Widerspruch der Verteidigung gesamtstädtischer, öffentlicher
Interessen und der Berücksichtigung notwendiger privater Investitutionen. Die Kompliziertheit,
einen ausgleichenden Kompromiß zu finden, kommt bereits in einem Vortrag der Landesbaudirektion
1833 zum Ausdruck. Es heißt u.a.,
daß allgemein verbreitete Regelmäßigkeit und Schönheit beim Bauen auf den Wohlstand einer Stadt
einen merklichen Einfluß äußern. (...) In einer Hauptstadt und Residenzstadt von Dresdens
Verhältnissen wird aber jene Anforderung des Geschmacks ein wirkliches Bedürfnis des
einheimischen und fremden Publikums. Schwer ist allerdings die richtige Gränzlinie zu finden,
wie weit hierbei das Intereße des Einzelnen dem Gesamtwunsche des gebildeten Publikums
unterzuordnen sei. (68)
In vielen Fällen entschied sich die Baupolizei gegen private Sonderwünsche und leistete
starken Widerstand gegen den Druck der Grundstückseigentümer nach individuellen Bauwünschen,
so daß es zu einer größeren Baufreiheit in der sächsichen Residenz nie gekommen ist.
Die städtebauliche Entwicklung Dresdens konnte durch die Planungen der
Baubehörden während des untersuchten Zeitraumes in großen Teilen vorgezeichnet
werden. Dadurch konnte eine "Anarchie", wie sie sonst in vielen anderen
deutschen Städten mit ihren schlecht geplanten bis wild wuchernden Stadterweiterungen
im Zeitalter der industriellen und demographischen Revolution zu finden
waren, vermieden werden.
Werner Pampel vertritt sogar die Ansicht, "daß die Tätigkeit der Baupolizei und die Arbeit
auf dem Gebiet der Aufstellung allgemeiner baurechtlicher Grundsätze in Dresden als bahnbrechend
bezeichnet werden kann".(69)
Die Leistungsfähigkeit der städtischen Baupolizeibehörde wurde allerdings
durch die Kompetenzüberschneidungen und Rivalitäten zur staatlichen Oberbehörde
z.T. erheblich beschränkt. In vielen Fällen war die kommunale Baupolizei
nach wie vor der Landesregierung untergeordnet. Der Rat mußte alle Ortsgesetze
und Bauordnungsentwürfe dem Ministerium des Innern zur Genehmigung vorlegen,
während der Staat seinerseits oftmals auf fiskalischem Gebiet Entscheidungen
traf, ohne den Rat zu unterrichten oder in die Arbeit einzubeziehen. Verschiedene
Bestrebungen, alle Bauten, auch die Staats- und Militärgebäude, einer
einzigen Baubehörde zuzuordnen, die sich aus Rats - und Ministerialbeamten
zusammensetzt, schlugen fehl. Ein Landesgesetz vom 6.Juli 1863 beschränkte
die Zuständigkeit der städtischen Baupolizei ausdrücklich auf kommunale
und private Bauten.
Infrastrukturelle Regelungen der Baupolizei
In einzelnen Verbesserungen und Erweiterungen der Bauordnung sind etliche Gesichtspunkte der
Baugesetzgebung enthalten, die maßgeblich das Erscheinungsbild Dresdens beeinflußten und
einen geordneten Stadtaufbau sicherten. Dazu zählten auch mehrere Verpflichtungen der Anlieger.
Diese wurden z.B. mit der Auflage belegt, das zur Quartierserschließung erforderliche
Straßenareal unentgeltlich bereitzustellen und vor Genehmigung der Bebauung die an ihre
Grundstücke anliegenden Straßen, Fußwege und Plätze samt Kanalisation herzustellen.(70) Welche
weitreichende Bedeutung diese Festlegungen hatten, zeigen Vergleiche mit der Gesetzgebung
anderer Städte, insbesondere mit Berlin vor dem Fluchtliniengesetz von 1875. Dort war der
Fiskus für die Beschaffung des Straßenlandes verantwortlich. Man plante deshalb zur
Verringerung der Erschließungs-kosten möglichst große Baublöcke (bis zu 400m)
(71) , die später
eine hohe Schachtelung von Hinterhöfen innerhalb der langen Blöcke ermöglichten.
Wesentlich schwieriger gestalteten sich die regulierenden Eingriffe der Baubehörde in
bodenrechtliche Fragen. Eine völlig veränderte Einstellung zur Frage des Eigentums an
Grundbesitz, die spätestens in der sächsischen Verfassung von 1831 gesetzlich festgelegt
worden war, ließ eine scharfe juristische Handhabe über privaten Boden seitens des Rates
oder staatlicher Behörden nicht mehr zu. Nicht zuletzt aus eigenem Interesse plädierten
Ratsvertreter und Stadtverordnete eher für den Schutz des Eigentums an Grund und Boden.
Der Mangel an entsprechenden gesetzlichen Vorschriften machte sich auch bei dringend
erforderlichen Verbesserungen für den Verkehr bemerkbar. Es zeigte sich, daß ohne Anwendung
von Zwangsmitteln infrastrukturelle Veränderungen nicht durchzusetzen waren.
Erst 1868 erhielt die Baupolizei durch die Oberbehörde eine rechtliche Möglichkeit zur
notwendigsten Verkehrsführung. Zur Verbreiterung, Begradigung, Fortsetzung oder
Neuanlegung von Straßen und Plätzen, sowie zum Bau der Kanalisation konnte danach bei
einem "dringenden Ortsbedürfnis" eine Abtretung von Grundeigentum vorgeschrieben werden.(72)
Infolge der hohen Entschädigungskosten bei Enteignungen blieb die Anwendung des Gesetzes
jedoch auf wenige Hauptverkehrsstraßen beschränkt. Die Enteignungsbefugnisse bezogen sich
zudem lediglich auf Verkehrsplanung und Stadttechnik. Sie konnten nicht auf öffentliche
Bauten, wie Schulen und Krankenhäuser, ausgedehnt werden, zu deren Errichtung Enteignungen
ebenfalls häufig notwendig gewesen wären.
(66)
1825 kam es durch Übergabe des Gouverneurs Repnins
zur Errichtung einer selbständigen, halb-
staatlichen Behörde mit 3 Bausachverständigen.
Nach der Auflösung dieser Behörde durch die
Septemberunruhen 1830 wurde am 11. Juni 1831 die
Polizeigewalt an die Stadt übertragen und der Rat
bis zur Klärung der Organisation mit der
vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte der
Baupolizei beauftragt. (RA, C XYIII 134, Regulativ
für die Organisation der Dresdner Polizey-
Behörde.., 1831).
(67)
Die Hausbesitzer hatten sich über den 36 der
Bauordnung beschwert, der besagte, daß in den
Dachräumen keine mit Feuerungsanlagen versehenen
Wohnungen einzubauen seien. (RA, A XXIII 90, Acta
hiesiger Hausbesitzer gethaner Vorstellung gegen
den im 36. Paragraphen der neuen Bauordnung
von 12.8.1827 verbotenen Anlegung von Dachstuben,
1829).
(68)
HSTA, MdI 11 467, Revision der Dresdner Bauordnung
betreffend.
(69)
W. Pampel, Die städtebauliche Entwicklung Dresdens
von 1830 bis zur Ortsbauordnung 1905, S. 8.
(70)
Regulativ, die Anlegung, Erweiterung und Regelung
der Straßen, Wege und öffentlichen Plätze (...)
betreff., Dresden 1856, in: Sammlung, S. 387.
(71)
Johann Friedrich Geist/ Klaus Kürvers: Das
Berliner Mietshaus, Teil 1 (1740-1862), München
1980, 464-496; Teil 2 (1862- 1945), München
1984, 142-169. Einschränkend muß erwähnt werden,
daß die Stadt Berlin ab 1837 das Recht hatte, vom
Bauunternehmer die erste Pflasterung zu verlangen.
(72)
HSTA, MdI 11 444, Regulativ für Expropriationen zu
Baupolizeizwecken, 11.7.1868.
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